Der Begriff „ ganzheitliches Gedächtnistraining“ lässt vermuten, dass es sich um Übungen handelt, die die Merkfähigkeit verbessern sollen. Das ist aber zu kurz gefasst und wahrscheinlich der Tatsache geschuldet, dass der Ausdruck „ganzheitliches Gehirntraining“ ein wenig blöde klingt und sich schwer vermarkten lässt – obwohl er besser passen würde. Wie auch immer, es handelt sich also um ein Training, das viele verschiedene Fähigkeiten des Gehirns abdecken soll und nicht nur eine einzige.
Der Bundesverband für Gedächtnistraining BVGT (früher: Bundesverband für ganzheitliches Gedächtnistraining) verwendet hierfür ein Konzept, welches auf die Erkenntnisse von Vera Birkenbihl zurückgeht. Man hat die Fähigkeiten des Gehirns in 12 Bereiche aufgeteilt. Das Ziel ist es, jede dieser Fähigkeiten regelmäßig zu trainieren.
Die 12 Trainingsziele beim ganzheitlichen Gedächtnistraining
- Assoziatives Denken
- Denkflexibilität
- Fantasie und Kreativität
- Formulierung
- Konzentration
- Logisches Denken
- Merkfähigkeit
- Strukturieren
- Urteilsfähigkeit
- Wahrnehmung
- Wortfindung
- Zusammenhänge erkennen
Wozu ganzheitliches Gedächtnistraining?
Die meisten von uns nutzen immer nur einen kleinen Teil von dem, was das Gehirn eigentlich leisten kann. Journalisten mühen sich den ganzen Tag mit Formulierung und Wortfindung um einen guten Artikel zu erstellen, während sie Merkfähigkeit und Wahrnehmung gar nicht nutzen. Der Bauingenieur sitzt in seinem Büro und seine messerscharfe Logik lässt ein neues Hochhaus entstehen, Fantasie und Urteilsfähigkeit kommen dagegen zu kurz. Natürlich sind das öde Klischees, und sie sollen auch nur beispielhaft gelten. Wichtig ist: meist nutzen wir unser Gehirn einseitig und im Alter zahlen wir möglicherweise den Preis, denn…
Biologischer Aspekt des Gedächtnistrainings
Egal, ob man einen Apfel aus dem Korb hebt, einen Schneeball wirft oder ein Gedicht auswendig lernt – alle unsere Fähigkeiten werden in Gehirn abgespeichert. Dies geschieht in Form von neuronalen Netzwerken.
Wenn wir etwas völlig neues machen wie Jonglieren oder ein Instrument lernen, dann legt das Gehirn solche Netzwerke an, damit die Areale miteinander verbunden werden, die es dafür braucht. Ähnlich wie Muskeln, werden die Netzwerke durch Übung und Wiederholung immer stärker und stabiler. Dies gilt im Übrigen auch für Senioren. Man sagt ja, dass man im Alter nur noch abbaut. Nein – wer im Alter etwas völlig neues macht, der baut ebenfalls neue Netzwerke im Gehirn auf!
Und damit wären wir beim Zweck des ganzheitlichen Gedächtnistrainings angelangt: Es geht darum neuronale Netzwerke aufzubauen und zu stärken, um möglichst viele seiner geistigen Fähigkeiten langfristig zu erhalten und dem altersbedingten Verlust entgegenzuwirken. Es soll die Lebensqualität steigern und kann zudem einer Demenz entgegenwirken (nicht heilen oder verhindern, eher verlangsamen) – sofern rechtzeitig damit begonnen wird.
Einbeziehung von Körper, Geist und Seele
Ein weiterer wichtiger Aspekt des ganzheitlichen Gedächtnistrainings ist die Einbeziehung von Körper und Seele. Nicht nur der Geist soll durch die Übungen gefordert werden.
Körper: Das Training enthält normalerweise Übungen, bei denen die Teilnehmer körperlich aktiv werden. Das können einfache Übungen sein, wie in einem vorgegebenen Rhythmus zu klatschen. Es gibt aber auch richtig knifflige Angelegenheiten, die das Gehirn herausfordern. Beispiel: mit dem linken Zeigefinger zeichnen Sie einen Kreis in die Luft, während der andere Zeigefinger gleichzeitig ein Dreieck zeichnet. Probieren Sie das mal aus, Sie werden überrascht sein, wie schwer das ist. Wichtig ist es, vor allem alten Menschen zur Bewegung zu animieren und auch diese Gehirnregionen anzusprechen.
Seele: Das gemeinschaftliche Training mit den anderen Teilnehmern fördert das soziale Erleben. Oft ergeben sich interessante Unterhaltungen und es entsteht ein reger Austausch. Das ist eine schöne Möglichkeit, um mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen.
Die Trainingsziele des ganzheitlichen Gedächtnistrainings
Assoziatives Denken: Verknüpfen von neuen Informationen mit dem bereits vorhandenen Wissen.
Denkflexibilität: Die Fähigkeit sich auf neue Situationen einzustellen und mit dem vorhandenen Wissen Lösungen für neuartige Probleme lösen.
Phantasie & Kreativität: Förderung von Vorstellungsvermögen, schöpferische Fähigkeiten anregen.
Formulierung: Sachverhalte oder Gedanken sprachlich korrekt und in verständlicher, sinnvoller Form ausdrücken.
Konzentration: Die Aufmerksamkeit auf eine einzige Tätigkeit oder einen Gedanken richten und dort behalten.
Logisches Denken: Aufgrund der vorhandenen Gegebenheiten schlüssige und konsistente Folgerungen ableiten. („Wenn A, dann B und nicht C, weil….“)
Merkfähigkeit: Daten, Informationen, Sinneseindrücke kurzfristig und langfristig im Gehirn zu speichern.
Strukturieren: Anhand einer vorgegebenen Systematik oder Ordnung Informationen anordnen und untergliedern.
Urteilsfähigkeit: Nach dem Abwägen aller Faktoren und Argumente, eine fundierte und begründete Entscheidung treffen.
Wahrnehmung: Einen Reiz bewusst mit einem oder mehreren Sinnesorganen aufnehmen.
Wortfindung: Ein bestimmtes Wort aus dem vorhandenen Wortschatz im Gedächtnis abrufen.
Zusammenhänge erkennen: Neue Informationen mit altem Wissen abgleichen und deren Gemeinsamkeiten und Wechselwirkungen erkennen.
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Interessante Fakten zum Thema Gedächtnis
Wann beginnt das Gedächtnis zu arbeiten?
Wenn man Erwachsene nach ihren frühesten Erinnerungen fragt, dann setzen diese normalerweise ab einem Alter von frühestens 3 Jahren ein. Da fragt man sich natürlich, wo die Erinnerungen aus den Jahren davor geblieben sind. Kann man so früh überhaupt schon Informationen im Langezeitgedächtnis ablegen?
Ohne ein funktionierendes Langzeitgedächtnis könnten Kinder sich nicht merken, wer ihre Eltern sind. Sie könnten auch keine Sprache lernen. Das Gedächtnis ist demnach schon sehr früh aktiv. Mit 2-3 Jahren funktioniert es schon so gut, dass sich die kleinen bereits an Ereignisse zurückerinnern, die mehrere Monate zurücklagen.
Kindheitsamnesie löscht frühe Erinnerungen
Ab ca. sieben Jahren beginnt etwas, das man Kindheitsamnesie nennt. Während sich 5-6 jährige noch an 60% der Ereignisse aus ihrer frühen Kindheit erinnern, sinkt dieser Wert rapide auf 40% bei den 7-8 jährigen (damit ist nicht jedes einzelne Detail gemeint). Aus den frühen Kindheitsjahren bleibt zunehmend weniger übrig.
Wissenschaftler vermuten, dass dies mit der Entwicklung der Sprache zusammenhängt. In den ersten Jahren lernen Kinder über Emotionen und visuelle Eindrücke. Später werden die Informationen mit Sprache verbunden und mit Worten in Verbindung gebracht. Das ist ungefähr so, als würde man über die ersten Jahre Fotoalben erstellen und dann auf ein handgeschriebenes Tagebuch umsteigen. Das Problem ist nur, dass man die Fotoalben danach nicht mehr „lesen“ kann, weil man den Code nicht mehr hat, um sie zu entschlüsseln.
Ein weiterer Grund ist die Neurogenese. Kindergehirne bilden in den ersten Jahren ganz viele neuronale Verbindungen zu immer dichteren Netzwerken. Allerdings werden sie in einer Art Beleidigungsprozess wieder ausgedünnt. Die Netzwerke, die im Alltag nur wenig verwendet werden, gehen wieder verloren. Davon sind auch die Erinnerungen an Ereignisse betroffen.
Wie erhält man die Erinnerungen an die frühe Kindheit?
Wer seinen Kindern Erinnerungen an die ersten Lebensjahre ermöglichen möchte, der kann dies gezielt forcieren. Die Eltern haben hier die Mittel in der Hand. Man muss mit den kleinen viel und ausgiebig über alte Erlebnisse fragen und darüber sprechen. Am besten eignen sich hierfür offene Fragen. Damit codieren Kinder ihre Erlebnisse mit Hilfe von Sprache neu und können sie später einfach wieder abrufen. Zudem werden die Netzwerke im Kopf durch Übung und Wiederholung gefestigt.
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Das Gedächtnis im Alter
Im Alter nimmt die Geschwindigkeit ab, mit der das Gehirn Informationen verarbeiten kann. Die Reaktionszeit von Senioren ist dadurch länger. Man sieht es oft beim Autofahren, wie langsam und vorsichtig alte Menschen das Fahrzeug manövrieren. Das nervt zwar manchmal, aber ist für alle Verkehrsteilnehmer sicherer so. Die Abnahme der kognitiven Geschwindigkeit wirkt sich aber nicht auf die geistigen Fähigkeiten an sich aus. Auch Senioren sind in der Lage im IQ-Test knifflige Aufgaben zu lösen. Man muss ihnen hierfür nur ein wenig mehr Zeit geben als einem Abiturienten.
„Was Hänschen nicht lernt, das lernt der Hans nicht mehr.“ Dieser Spruch wird gerne zitiert, wenn es ums Lernen im Alter geht. Er entspricht zum Glück nicht der Wahrheit, denn auch Senioren sind durchaus in der Lage neue Dinge zu lernen. Egal ob es um motorische Fähigkeiten wie Jonglieren geht, oder eine neue Sprache. Beide Herausforderungen sind auch im Alter problemlos zu bewältigen.
Depressionen sind eine häufige Ursache für ein schlechtes Gedächtnis. Lernen erfordert grundsätzlich Motivation und Konzentration. Bei Menschen mit Depressionen fehlt eine motivierte Grundeinstellung zum Leben. Das macht dem Gedächtnis die Arbeit schwerer. Des Weiteren leidet die Aufmerksamkeit durch die Krankheit. Betroffene neigen dazu häufiger über Probleme zu grübeln und werden von negativen Gedanken geplagt, um die sie sich wie im Kreis drehen. Im Alter nehmen negative Gedanken leider meistens zu. Die Eltern sind tot, Freunde sterben, der Partner stirbt oder lässt sich scheiden, die eigene Sterblichkeit und die Vergänglichkeit der Gesundheit wird immer bewusster. Viele Verdrängungsmechanismen, die unsere Psyche in jungen Jahren vor solchen Gedanken schützen, funktionieren nicht mehr. Hierdurch kommt es auch zu Verschlechterungen der Gedächtnisleistung, die aber relativ ungefährlich sind.
Die Aufmerksamkeit für Fehlleistungen des Gedächtnisses verschiebt sich mit zunehmendem Alter. Kein 20-jähriger würde auf die Idee kommen, dass etwas nicht stimmt, nur weil er an einem Tag ein paar Dinge vergessen hat: Im Parkhaus umhergeirrt, weil er das Auto nicht gefunden hat. Den Geburtstag der Ehefrau vergessen. Beim Einkaufen nicht an das Brot gedacht. Alles kein Problem. Ein 60-jähriger würde hier möglicherweise zum Neurologen rennen. Oft ist es so, dass sich solche Ereignisse gar nicht häufen, sondern sie fallen den Betroffenen mehr auf und ihnen wird zu viel Bedeutung zugemessen.
Es gibt Berufe, in denen der Erfolg vom Gedächtnis abhängig ist. Ein Manager, der seine Zahlen nicht auswendig kennt und diese bis ins Detail runterbeten kann, der wird sich nicht lange oben halten, weil er inkompetent erscheint. Mit dem Eintritt in die Rentenalter verliert man diesen Zwang. Natürlich entspannt sich das Gehirn jetzt etwas, denn solche Leistungen kosten viel Energie. Wenn sich der Rentner dann dabei erwischt, dass er sich jetzt nicht mehr so viele Zahlen und Details merken kann, dann bekommt er es mit der Angst zu tun. Auch das ist kein Grund zur Panik. Wer sich diese Fähigkeit erhalten möchte, der muss seinem Kopf einfach neue Herausforderungen bieten. Lernen Sie Hauptstädte oder Bevölkerungszahlen o.ä. auswendig. Das hält das Gehirn fit.
Verschlechterungen des Gedächtnisses sind im Altern nicht unbedingt Anzeichen für einen beginnenden geistigen Verfall, einer Demenz oder gar Alzheimer. Oft ist das Problem nur den sich verändernden Lebensbedingungen geschuldet.